Ein wunderbares Geschenk

Es ist großartig, schwanger zu sein. Aber auch eine Berg- und Talfahrt der Gefühle, finden Anna und Wolfgang Lenders.

Anna: Übelkeit und Glücksgefühle

Perspektivenwechsel

Nach mehreren Jahren auf­regender Zweisamkeit konnten wir uns immer bes­ser vorstellen, zu dritt durchs Leben zu gehen. Die Partnerschaft gefestigt, Ausbildungen, Studium ab­geschlossen, Urlaubsreisen, Umzüge hinter uns, die eigene Persönlichkeit gereift – der Wunsch und die Freude auf ein gemeinsames Kind wurden groß.

Rückschläge

Krebs bekommen immer nur die Ande­ren – immer! Diese Diagnose beim eigenen Partner zu erleben ist ein Tiefschlag. Alles löst sich auf – Pläne, Wünsche, der Alltag. Die Sorge um den Leib und das Leben des Partners wird übermächtig. Ein gemeinsa­mes Kind rückt in weite Ferne. Ist es überhaupt noch möglich? Können wir, dürfen wir es trotzdem wagen?

Lichtblicke

Gott sei Dank! Mein Mann hat es ge­schafft. Diagnose, Operation, Bestrahlung – alles liegt hinter ihm und hinter uns. Nur die große Ungewiss­heit liegt vor uns. Können wir auf natürlichem Wege gemeinsam ein Kind bekommen? Hoffnung und Humor sind unsere Lichtblicke und retten uns durch die Zeit.

Glücksgefühle

er schnell gekaufte Test ist positiv! Das Gefühlskarussell bricht über mich herein. Wird alles gut gehen? Haben wir uns richtig entschieden? Natürlich ist die gemeinsame Freude riesengroß! Al­les wird rosa und hellblau. Sorge und Glückseligkeit wechseln sich ab und gehen Hand in Hand.

Mama? Mama!

Okay, also wir sind schwanger. Dem Baby geht es gut, dem werdenden Vater geht es gut – und der werdenden Mutter? Werde ich das wirklich alles schaffen? Diese große Aufgabe, Verantwortung für ein Kind, für so ein kleines zartes Leben! Werde ich alles richtig machen? Es gibt so vieles, was ich nicht weiß, nicht kann. Werde ich das alles lernen und zum Wohle meines Kindes einsetzen können? Und was wird wohl mit „meinem“ Leben? Klassi­scherweise wird meine berufliche Tätigkeit erst mal unterbrochen – wie halte ich das denn aus, ohne mei­nen Alltag, ohne KollegInnen, ohne meine berufliche Identität, ohne Wertschätzung? Mir wird ganz flau im Magen, was da wohl noch alles auf mich zukommt.

Das ganz normale Übel

Natürlich ist es großartig, schwanger zu sein. Aber sich über Wochen, ja Monate im Stundentakt übergeben zu müssen, ist gelinde ge­sagt anstrengend. Aber jetzt haben wir es bis hierher geschafft, und irgendwann müssen diese neun Mona­te ja auch vorbei sein…

Hormone und Co

1000-fach soll der Östrogenspiegel von Schwangeren erhöht sein, lese ich in einer dieser Super-Mami-Broschüren. 1000-fach, das glaube ich gerne. Mein Gefühlsleben gleicht manchmal einer Achterbahnfahrt. In einem Moment kann ich noch lachen und mich über alles freuen, was die kommen­de Zeit bringen wird, und im nächsten könnte ich mich heulend in eine Ecke verkriechen. Was ist denn mit mir los? Das kenne ich gar nicht von mir. Warum versteht mich niemand? Meine ganze Umwelt regt mich auf! Mein einziger Trost ist die Vorstellung, wie wohl ein Mann mit 1000-fachem Testosteronspiegel auszuhalten wäre.

Ein neues Herz schlägt

Das kleine Herz im Ultra­schallmonitor schlagen zu sehen, ist ergreifend. Hier beginnt das Leben unseres gemeinsamen Kindes. Noch winzig klein in seiner Schutzhülle wächst und gedeiht es und schenkt uns wunderbare Glücksmo­mente. Als zukünftige Mama spüre ich die Tritte und Bewegungen und werde schon ganz aufgeregt, wenn ich an die gemeinsame Zeit zu dritt denke.

Ach, da hätten wir noch…

diese und jene Zusatzun­tersuchung, einen weiteren Test, Ultraschall, Blut­untersuchung etcetera etcetera. Die Besuche beim Frauenarzt, der natürlich nur seiner Pflicht und Ver­antwortung nachkommt, werden zum Hürdenlauf. Jede mögliche Behinderung und Anomalie des Embryos kann getestet, untersucht und berechnet wer­den. Ich empfinde den medizinischen Segen aller­dings fast schon als Fluch. Wie weit wollen wir denn als werdende Eltern und ich als werdende Mutter das mit mir und meinem Körper alles machen lassen? Und was machen wir, wenn einer dieser Tests uns ein behindertes Kind errechnet? Ich bin unsicher und al­lein, denn die Medizin gibt alle Verantwortung an die Eltern ab. Aber von was sollen wir als Laien denn un­sere Entscheidungen abhängig machen? Es ist schwer! Vielleicht hilft es ja, mehr nach innen zu hören und nicht immer nach außen? Ich werde es versuchen.

Das Glück zu dritt

Jetzt liegt es neben uns, das kleine Kind. Alles ist gut gegangen!
Ein Happy End nach viel Krankheit und Leiden.
Und ein guter Anfang in eine gemeinsame Zeit zu dritt.

Anna Lenders

 

Wolfgang: Das Ohr am Bauch der Frau

Ein Geschenk

Es war das schönste Geschenk, von meiner Frau die Nachricht zu bekommen, dass wir ein Baby erwarten. Gerade ist es zwei Jahre her, dass mich die Diagnose „Hodentumor“ erreicht hatte und alles in Frage stellte. Jetzt also doch – ein großes Ge­schenk!

Übelkeit ist aller Anfang

Die Freude über die gute Nachricht wird etwas geschmälert, da meiner Frau vier Monate lang so wahnsinnig übel ist und sie sich andauernd übergeben muss. Das geht ihr an die Substanz. Aber gemeinsam werden wir das schaffen. Morgens vor der Arbeit koche ich noch Essen vor und bringe ihr das Frühstück ans Bett, damit es ihr ein bisschen gut geht. Man entwickelt Kräfte, von denen man vorher nichts wusste.

Unsicherheit und Unwissen

Was, wenn das Baby etwas von meiner Krankheit abbekommen hat? Kann ich es überhaupt verantworten? Wie groß ist das Risiko? Durch das medizinische Unwissen tun sich viele Ängste auf und lassen mich hadern.

Launen der Natur

Als Mann kann man wohl erst nach einer Schwangerschaft verstehen, was Hormone sind und was es heißt, wenn sie verrückt spielen. Ich koche gerne für mich und meine Frau; doch während der Schwangerschaft ist nicht nur Kochkunst gefragt, sondern auch Schnelligkeit. Vor allem Schnelligkeit, wenn ich das momentane Ge- richt noch beim Metzger holen musste – schließlich war nie klar, ob sie es noch isst, wenn es fertig ist…

Gerüche – wo?

„Also wir müssen das Spülmittel wechseln. Riechst Du das auch auf den Tellern?“, sagt meine Frau eines Tages. Wie bitte? Was soll da rie­chen? Nein, nicht fragen! Das habe ich schon gelernt; sie weiß ja auch nicht, warum sie es plötzlich riecht. Einfach machen, was sie sagt, die Zeit ändert sich auch wieder.

Technik, die verblüfft

Es ist so unglaublich, das Baby auf dem Ultraschallbild zu sehen. So klein und doch schon alles da, das ist so ein wunderbares Geschenk. Wir können alles sehen – nachdem uns die Ärztin darauf aufmerksam gemacht hat. Wir können das Herz schlagen hören und bei der Doppler-Untersuchung sogar das Blut fließen sehen. Trotzdem: Seit ich erfah­ren habe, dass das Baby eine Ultraschalluntersuchung wahrnimmt wie den Überflug eines Düsenjets, tut es mir immer leid für unser Kind.

Ich will es auch spüren

Am liebsten habe ich mein Ohr auf den Bauch meiner Frau gelegt, um auch etwas zu hören und zu spüren von unserem Nachwuchs. Als Mann fehlt mir da doch die Nähe, die die Frau hat. Später werden seine Tritte dann schon härter und ich kann die Verformungen am Bauch sehen.

Ich bin auch wer!

Wie lange es gedauert hat, bis wir von den ArzthelferInnen als Familie aufgerufen wur­den! Ich kam mir irgendwie immer nicht existent vor. Da sitzt du neben deiner Frau im Wartezimmer, und ständig wird „Frau... bitte“ gerufen. Du sitzt als Mann daneben und beißt dir auf die Unterlippe.

Terminfragen

Bei der Errechnung des Geburtster­mins waren sich die Ärzte wohl nicht einig. Die Ärztin, bei der wir waren, hat den Termin festgelegt, aber jedes Mal, wenn wir uns woanders vorstellten, im Krankenhaus oder bei der Hebamme, wurde er wieder in Frage gestellt. Ich glaube eh, dass sich un­ser Kind noch nicht an Termine hält. Ich entscheide mich dafür, es mit ihm selbst auszumachen. Wir ver­einbaren den 5. Dezember, und an diesem Tag ist er auch gekommen (statt am 30. November).

Ich will helfen und kann nichts tun

Dann ist es so weit. Ein Blasensprung lässt uns ins Krankenhaus aufbrechen. Ein langer Tag im Kreißsaal beginnt. Ich freue mich, dabei sein zu können. Doch nach einigen Stunden ist die Freude etwas verflogen; ich verarbeite nur noch, was abwechselnd von Hebamme und Arzt kommt. Dazwischen liegt meine Frau; ich will helfen und kann doch nichts tun. (Meiner Frau hat es wohl geholfen, dass ich da war, sie gestreichelt und massiert habe; aber selbst hatte ich nicht den Eindruck, dass ich hilfreich war.) So vergeht Stunde um Stunde. Die Schmerzen werden größer; eine PDA wird gelegt und versagt. Schließlich geht nichts mehr weiter, trotz der Wehen. Hebammenwechsel.

Willkommen!

Nach sieben Stunden Quälerei dann doch die Entscheidung: Kaiserschnitt. Da stehst du nun als Mann und werdender Vater im Kreißsaal, hast den ganzen Tag mit deiner Frau durchlitten, und jetzt schieben sie sie raus in den OP, und du stehst al­leine da. „Wir kommen so in 30, 40 Minuten wieder.“ Eine Zeit des Hoffens und Bangens beginnt. Dann kommt die Hebamme zurück und drückt mir ein kleines Bündel in die Hand. Unglaublich…

Wolfgang Lenders